Siebtenes Kapitel
Der Kalender
1. Die verschiedenen Systemen
Da alle Einrichtungen des Staatslebens als Widerspieglungen himmlischer Erscheinungen gelten, so ist der Kalender, der die Einrichtungen des Lebens nach dem Umlauf der Gestirne reguliert, die wichtigste Staatsakte, Sache der Gesetzgebung. /…/ Denn der Grundsatz der orientalischen Zeitrechnung lautet: die großen und kleinen Zeiträume entsprechen einander und bilden je ein Universum: Tag = Monat = Jahr = Lustrum = Zyklus = Äon. Es fragt sich nur, welches System jeweilig praktisch Geltung hatte.
Die ältesten Kalender, die wir auf babylonischem Gebiete kennen, beginnen sowohl im Süden Babyloniens, im eigen Sumerer-Gabiet, wie im nordbabylonischen Lande Akkad mit der Wintersonnenwende.
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2. Die Schaltungen
Das Jahr war in allen Fällen ein Mondjahr von 354 Tagen, das nach Ablauf mehrerer Jahre durch Einlegung von Schaltmonaten mit dem Sonnenjahre ausgeglichen wurde. /…/
In spätbabylonischer Zeit hat die 19-jährige Schaltung eine 8-jährige Schaltung abgelöst /…/
Eine andere Schaltungspraxis /…/ gleicht Sonnen- und Mondjahr durch 10 Ergänzungsmonate in 27-jährige Pariode aus. /…/
Eine banausische Renaissance des babylonischen Mondjahres ist Muhammeds Kalender, der Schalttage und Schaltmonate verbietet. Die islamischen Mondjahre laufen durch unser Sonnenjahr. /…/ Ungefähr aller 33 Jahre kommt Ramadan wieder in denselben Sonnenmonat; dann haben die Muhammedaner wieder ein Jahr gegen die Sonnenrechnung gewonnen.
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3. Venusjahr. Romulusjahr.
Ein Venusjahr von 292 Tagen hat F. Bork für Elam nachgewiesen. Es umfaßt 8 Monate mot abwechselnd 32 und 33 Tagen und einem weiteren 32 tägigen Epagomenen-Monat
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4. Die Woche
Die Woche ist nach dem ältesten uns bekannten System eine fünftägige gewesen. Sie ist in den Zahlungsdatierungen der barbarisch-semitisch geschriebenen hethitischen Texte aus der Zeit um 2500 bezeugt (sog. kappadokische Tafeln), stammt also siche wie der Kalender aus Babylonien. Der Name der fünftägigen Woche ist ḫamuštu. Es ist von Schuldzahlungen die Rede, die in einer bestimmten ḫamuštu erhoben oder nach so und soviel ḫamušâti zurückgezahlt werden sollen. Datiert sind die Zahlungen nicht nach Tag, Monat, Jahr, /…/
Die Rechnung erklärt sich durch Anwendung des Sexagesimalsystems auf die Monatsrechnung: 6 Fünferwochen = 1 Monat. /…/
Eine Wochenteilung ist innerhalb der Mond-Monate schwierig. Die Schwierigkeit hat in alter Zeit bereits zu der Einführung einer durchrollenden Woche geführt, deren Erfindung als große Geistestat einzuschätzen ist. Da in einem der alten semitosch-hethitischen Texte (um 2500) 70 Fünferwochen (ḫamuštu) vorausgesetzt werden, scheint schon damals eine durchrollende Woche eingeführt gewesen zu sein. /…/
Eine Siebenerwoche, deren Reihe mit jedem Monat neu einsetzt, ist in der Hemerologie IV R 32 bezeugt /…/ Wenn der Siebenerwoche irgendwo praktisch als Unterteilung des Mondlaufs eingeführt gewesen ist, so ist sie dem Monde wohl künstlich auf den Leib geschrieben. [Gegenüber der Ansicht der Pan-Arier, daß die einzige natürliche Mondlaufteilung 3×9 seit, sei auf Clem. Alex. verwiesen, wonach unter den wichtigen Siebenern neben 7 Planeten, 7 Sterne des großen Bären, die Siebenheit des Mondes genannt wird, der nach 7 Tagen seine Veränderung macht.] Der einzig natürliche Zusammenhang würde der mit den sieben Planeten sein. Die Siebenheit der Planeten halten wir für die älteste uns bekannte Zeit durch die Existenz der siebenstufigen Tempeltürme für erwiesen. Auch die Siebenerteilung bei der Sintflut hat doch wohl planetarischen Sinn. Aber der Zusammenhang der sieben mit der Woche ist in babylonischer Zeit bisher nicht nachweisbar. /…/
Wenn man die sieben Planeten in der Reihenfolge ihrer Umlaufzeit auf die Punkte des Haptagramms verteilt (Mond, dann die dreit sonnennahen Planeten, Merkur und Venus und die Sonne selbst, dann die drei übrigen), so erhält man die Reihe der Wochentage durch Verbindung der Punkte mit den Linien des Heptagramms.
Die Reihenfolge ist also mythisch-astrologisch. Übrigens gilt die Charakterisierung durch die Planeten nicht den Tagen, sondern (wie der Ausdruck Horoskop besagt) den Tagesstunden. /…/
Win indirektes Zeugnis für die Herkunft der sieben Planetentage aus Babylonien ergibt sich aus der jüdischen Engellehre, die nach der eigenen jüdischen Tradition aus Babylon stammt. Jeder der sieben Planeten ist hier durch einen Erzengel vertreten, der an einem der sieben Wochentage die Weltregierung besorgt: Raphael-Sonne, Gabriel-Mond, Chamael-Mars, Michael-Merkur, Zadkiel-Jupiter, Annael-Venus, Sabathiel oder Kephziel-Saturn, /…/
Ein indirektes Zeugnis bietet auch der altpersische Kalender, der im letzen Grunde wie die gesamte Theologie des Avesta auf Babylonien zurückgeht. /…/
An der schließlichen Herkunft der Planetenwoche aus dem babylonischen Kulturkreis wird nicht zu zweifeln sein. /…/ Ägypten ist in unzähligen Stücken die Brücke altorientalischer Weisheit für den Okzident. Der älteste datierbare Nachweis für die Aufzählung der Planetentage ist eine Wandinschrift aus Pompeji. /…/
Eine Neunerwoche ist aus einem Texte der Zeit Asurbanipals bezeugt, /…/ Der Text hebt den 15. Tag und den 9. Tag feierlich hervor und teilt offenbar die 27 Tage des siderischen Monats durch 3. /…/
Außerdem wird bei Angabe der Lebensmittelpreise für die einzelnen Monate unterschieden: /…/ Anfang des Monats / Mitte des Monats / Ende des Monats /…/
Eine Zehnerwoche (Dekade) findet sich bei den Ägyptern bereits in Inschriften der 3. Dynastie. Das Jahr wird dann in 36 Dekaden mit 5 Epagomenen geteilt.
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5. Der Tag. Tageszeiten. Stunde
Der Tagesanfang soll nach Plinius und anderen Zeugnissen der Griechen bei den Babyloniern mit Sonnenaufgang gerechnet worden sein (inter duos solis exortis). /…/ Aber wie in alten Texten auch die umgekehrte Aufzählung vorkommt: Nacht und Tag, so herrschte zu gewissen Zeiten auch das andere System, das den Tag mit Anbruch der Nacht begann. /…/
Der Volltag wird nach dem Sexagesimalsystem in 6 Tagesabschnitte geteilt. Die Nachtzeit in 3 Nachtwachen /…/
Die entsprechende Teilung des Lichttages in drei Abteilungen ist urch einen strologischen Text bezeugt. /…/
Neben dieser Einteilung in “Wachen” wird der Volltag der Bebylonier in 12 KAS.GID, Doppelstunden, eingeteilt. Ein KAS.GID har 30 US (= 4 Minuten). Nach dem Gesetz der Entsprechung des Großen und Kleinen (Jahr = Tag) ist also der bebylonische Volltag ein kleines Jehr von 12 Stunden und 360 Minuten.
[Wir sagen 24 Stunden, aber unsre Uhr hat noch die babylonische Rechnung 12 Stunden, zweimal genommen! Die Einheit des Mikrojahres ist die Doppelminute, die der täglischen Vorwärtsbewegung der Sonne durch dir Ekliptik entspricht. Die Sonne läuft in den 12 Stunden ihrer täglichen oberweltlichen Bahn den 720. Teil des Kreislaufs. Der entsprechende Teil des Tages (Mikrojahres) ist eine Doppelminute.]
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Zusatz.
Der israelitische Kalender
Einen spezifisch israelitischen Kalender gibt es nicht. Man kann höchstens von einem bestimmten der in vielen Varianten vorhandenen Kalender sprechen, der von den Israeliten übernommen, d.h. zum praktischen Gebrauche eingeführt, anerkannt worden ist. Wir würden dann diesen Kalender “israelitisch” nennen, wie wir etwa den julianischen Kalender als russischen bezeichnen könnten.
Als israelitische Eigentümlichkeit erscheint uns nach dem bisher zugänglichen Material die Durchführung der durchrollenden siebentägigen Woche. Israelitische Erfindung ist sie auf keinen fall. /…/ Es ist, wie gesagt, für die altorientalische Kulturwelt keine Zeit denkbar, in der man bei Siebenzählung nicht an die 7 Planeten gedacht haben sollte.
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Was die Jahresrechnung anlangt, so ist zunächtst erwiesen, daßman das Sonnenjahr von 365 Tagen gekannt hat. Die Sahl der Lebensjahre Henochs (365) soll zweifellos Sonnenzahl sein.
aus Alfred Jeremias, Handbuch der altorientalischen Geisteskultur (Leipzig, 1913), S. s. 153–168